Gerlint Böttcher gewinnt das Jenaer Publikum

20. Dezember 2005

Ostthüringer Zeitung, Karl Müller Schmied

 

Rezensiert: Philharmonisches zu Richard Wagner und französischer Musik

Jena (OTZ). Dem Philharmonie‐Programm vom vergangenen Freitag im Jenaer Volkshaus sah man nicht gleich mit dem ersten Blick seine Außergewöhnlichkeit an. Es war schon kaum verwunderlich, dass diesmal ein paar Musiker den Wetterkapriolen des Wintereinbruchs unterlagen. Das aber hatten die meisten Gäste im Saal gar nicht zu spüren bekommen. Richard Wagner erklingt in Jena relativ selten. Das Jenaer Theater gibt's nicht her; und nun setzt die Regie den Hörern eine Tannhäuserfassung vor, die kaum jemand kennt: die „Pariser Fassung". Sie berücksichtigt das Ballett‐Verlangen der französischen Aristokratie. Das gut‐bürgerliche Jenaer Publikum erkannte darin zwar auch seinen geliebten Pilgerchor wieder. Der Übergang danach klang aber nicht wie Ballettmusik und der sich ins Nichts verflüchtigende Schluss trug noch mehr zur Irritation des Publikums bei ‐ und so dünn klang auch der Beifall dazu. Als danach ein Spaßvogel aus dem Publikum den Orchesterwarten nach dem Klavierrücken Beifall zollte, fanden sich sofort einige Nachahmer. Der eigentliche Höhepunkt des Abends ergab sich im 2. Klavierkonzert von Camille Saint‐Saens mit einer Pianistin, die sich damit weit oben in der Ruhmesskala der Jenaer Philharmonie eingliedern konnte: der 1971 in Frankfurt (an der Oder) geborenen Gerlint Böttcher. Mit geradezu lässig gezeigter jugendlicher Spannkraft gab sie sich einem Klavierspiel hin, das von allem, was man dabei erwarten durfte, köstlichste Proben bereit hatte. Die solide Präzision ihres Anschlags und ihre schwelgerischen Akkorde nahmen den Hörer von Anfang an gefangen. Es war eine Lust, dieser höchst anspruchsvollen Musik eines Komponisten und Klavier‐Virtuosen namens Saint‐Saens aufmerksam zu folgen. Der Chronist der noch unveröffentlichten Jenaer Musikgeschichte, Dr. Otto Löw, wusste zu berichten, dass Saint‐Saens in den „Rosensälen" ein Konzert gegeben hatte.

 

Nach der Pause erklang Cesar Francks einzigartige und einzige Sinfonie in d‐Moll, und hierbei hatte das Orchester der Jenaer Philharmonie wieder einmal beste Gelegenheit, sein wahres Können unter dem gut aufgelegten Nicholas Milton zu zeigen. In klar durchsichtig, fast kammermusikalischer Weise wurde das Dreiton‐Motiv des ersten Satzes von den Instrumentengruppen modelliert. Im 2. Satz gab es mancherlei solistische Höhepunkte, von denen die warmen Klänge des Wechselspiels zwischen Englisch Horn und Horn besonders angenehm auffielen. Milton gestaltete das Bild einer Sinfonie, die zu dem Bedeutendsten zählt, was seit Beethoven geschaffen wurde. Er erhielt dafür auch prompt den besonderen Dank seiner Musiker ‐ und der ist gewichtig. Man hört gelegentlich Konzertinteressierte fragen, warum César Franck nur diese eine Sinfonie geschrieben hat. Die Frage müsste wohl besser so gestellt werden: Was sollte er danach eigentlich noch komponieren? Besser geht’s nicht. Es ist immer das Einmalige, das der Kunstfreund genießen möchte, und das in möglichst höchster Vollendung. Ein bisschen davon gab's am vergangenen Freitag.