Gerlint Böttcher spielt Voříšek und Schubert

Rezension von Erhard Hundorf

 

Zu den unbekannten, fast vergessenen Komponisten der klassischen Epoche gehört der Tscheche Jan Václav Voříšek (1791-1825). Zu Unrecht, ist er doch ein wegweisender Meister von der Klassik zur Romantik. In seiner Tonsprache schimmert schon ein Hauch Schubert und Chopin durch. Formal entwickelte er musikalische Kleinformen, deren sich im 19.Jahrhundert zahlreiche Komponisten bedienten. Er führte Rhapsodie und Impromptu als Charakterstücke ein. Formen, auf die später Schubert, Chopin, Liszt oder Brahms gerne zurückgriffen.

 

Die junge Berliner Pianistin Gerlint Böttcher hat die Rhapsodien op. 1 von Jan Vaclav Voříšek, gekoppelt mit den Impromptus op. 90 von Franz Schubert, im MDR -Studio Leipzig eingespielt, als CD nun vom Label Ars Musici herausgebracht. Dem neugierigen Zuhörer eröffnet sich ein interessanter Vergleich, vielleicht wird ihm auch deutlich, warum der Zeitgenosse Franz Schubert (1797-1828) in der Folgezeit mehr reüssierte.

 

Formal sind die Rhapsodien op. 1 von Jan Vaclav Voříšek streng dreigegliedert, zwei identische Außenteile umrahmen einen lyrischen Mittelteil. Acht der zwölf Rhapsodien spielt Gerlint Böttcher mit außerordentlich technischer Brillanz und ausgeprägtem romantischen Klangsinn. Mit Leichtigkeit schwirrt die rechte Hand unermüdlich über die Tasten, während die linke Hand das gewichtige rhapsodische Thema eindringlich darlegt (Nr.1 Cis-Moll).Brillant technische Feuerstürme brechen z.B. in Nr. 6 (As-Dur) und Nr. 10 (C-Dur) herein, im wunderbaren Kontrast dazu die lyrischen Mittelteile, die einen ungeahnten Melodienreichtum verströmen. Kühne melodische und harmonische Wendungen in Nr. 2 (E-Dur) und Nr. 4 (F-Dur) lassen schon die Tonsprache Schuberts und Chopins erahnen, hochromantisch von Gerlint Böttcher interpretiert. Mit höchster Intensität werden melodische Bögen und ein breites Klangspektrum entworfen, alles mit großer technischer Souveränität.

 

Noch vielschichtiger und abwechslungsreicher sind die vier Impromptus op. 90 von Franz Schubert, darunter das sehr populäre vierte in As-Dur. Auch hier besticht Gerlint Böttcher mit perlenden, locker dahinfließenden Arpeggien und klangvollen, nie wuchtigen Akkordmassierungen, über denen gesangvoll die Melodie schwebt. Im ersten Impromptu (c-Moll) nimmt die Pianistin die Schubertsche Anweisung „molto moderato“ sehr wörtlich. Das fast alles beherrschende marschartige Thema wird zum „Marche funèbre“: kein ruhiges Fließen, melancholische Einsamkeit bestimmt die Interpretation. Manch interessante, ja überraschende melodische Aspekte werden in den Seitenthemen entdeckt. Duftig, leicht, locker gleiten die Achteltriolen des Es-Dur-Impromptus dahin, ein berauschendes Perpetuum mobile. Ihren außergewöhnlichen Sinn für große melodische Gestaltung beweist Gerlint Böttcher wiederum im dritten Impromptu (Ges-Dur): zurückhaltend, mit wenig Pedal werden im wundervoll dahinfließenden Melodiestrom behutsam dramatische Akzente gesetzt. Romantik pur.

 

Die Wiederentdeckung Jan Vaclav Voříšeks (manchmal auch Worzischeck geschrieben) in Verbindung mit seinem Zeitgenossen Franz Schubert geben der CD, mit einem sehr informativen dreisprachigen Booklet versehen, eine besondere Note. Mit dieser CD erschließt Gerlint Böttcher mit bestechender Qualität klassisches Neuland.

 

Gerlint Böttcher: Voříšek - Rhapsodien.Impromptus - Schubert; erschienen bei ARS MUSICI mdr figaro