Marschierende Waldameisen

29. Januar 2018

Westfälische Nachrichten, Bericht: Dr. Ekkehard Gühne, Foto: Dr. Reinhold Schoppmann

 

Galeriekonzert mit Gerlint Böttcher

Warendorf. Die Romantiker liebten die Gestalt: den unsteten, einsamen, mitunter verzweifelten Wanderer, der sich der Welt gegenübersieht und wahrnimmt, was viele Menschen übersehen. Ein Hauch davon prägte am Sonntagabend im Sophiensaal den ersten Teil des Galeriekonzertes, das die Pianistin Gerlint Böttcher (Berlin) souverän gestaltete.

 

Denn wie sonst lassen sich die „Années de Pèlerinage“ (Wanderjahre) von Franz Liszt verstehen, diese grandiosen musikalischen Reisenotizen?

 

Hier ging es um die Schweiz , schon seit dem Ende des 18. Jahrhunderts für viele empfindsame Seelen Inbegriff unberührter Natur und ursprünglicher Menschen.

 

Erfreulicherweise störte kein Beifall diese neun sehr unterschiedlichen „Notizen“, deren innere Einheit damit erfahrbar wurde, so dass ein monumentales Gemälde entstand. So durften die Hirten wie die arkadischen Schäfer singen, ein Sturm ließ die bedrohliche Natur anklingen, die glitzernden Gewässer einer Quelle spiegelten sich im Pianoforte. Und nicht zuletzt erlebte man das düstere Obermann-Tal, das allerdings eher eine literarische Fiktion ist, bis schließlich die Glocken von Genf geradezu ätherisch verklangen. Die Pianistin Gerlint Böttcher (Berlin) setzt dies meisterhaft beim Galeriekonzert um.

 

Häuslicher ging es im zweiten Teil des Konzertes zu, denn mag auch der Pianist Xaver Scharwenka (1850-1924) viele Male den Atlantik überquert haben, um in den USA Triumphe zu feiern, seine Tätigkeit gehört nach Berlin, wo er pädagogisch und auch kompositorisch wirkte. Zwei Proben (ein „Impromptu“ und eine „Novelette“) seines geistreichen, wenn auch nicht genialen Schaffens bereicherten das Programm, überließen die Schwierigkeiten der Solistin, nicht aber dem Hörer, blickten freundlich in die Welt.

 

Hat ein Psychotherapeut, z. B. Günther F. Kasseckert (* 1958), einen besonderen Zugang zur Musik? Man könnte darüber grübeln. In jedem Falle aber nahmen drei seiner Stücke, die sich so gar nicht mit Grundfragen der modernen Musik befassen, sondern ganz einfach Musik sein wollten, zumutbar und interessant, den Hörer gefangen. Sein „Feuertanz“ z. B. ließ mit pointierten Motiven die Flammen züngeln; seine „Marschierenden Waldameisen“ wussten, was Ordnung ist, und hatten doch am Ende ihren Spaß mit „Boogie“.

 

Kein Spaß dann das Finale, die „Ungarische Rhapsodie“ Nr. 2 von Liszt. Genial greift sie Material auf, das man damals mit den Zigeunern verband, vergißt nicht, den Pianisten reichlich mit virtuosem Futter zu versorgen, gibt sich einmal feurig, dann eher schmachtend und melancholisch, spielt aber in jedem Falle mit Effekten.

 

Die schlugen sich im Beifall nieder. Die hochverdiente Zugabe blieb nach dieser Tastenschlacht zwar knapp, aber wenige Tage nach der Warendorfer „Pripro“ durchaus aktuell: eine Probe aus dem „Karneval der Tiere“ von Camille Saint-Saëns.

 

Bildunterschrift:

Gerlint Böttcher gestaltete souverän das Galeriekonzert im Sophiensaal.