Ohne Konzerte ist alles lau

13. Januar 2022

Märkische Allgemeine, Bericht: Lars Grote, Foto: Peter Adamik

 

Die Eichwalder Pianistin Gerlint Böttcher spielte in der ganzen Welt. Nun wartet sie darauf, dass ihr Künstlerleben wieder Fahrt aufnimmt

 

Eichwalde. Manchmal schaut sie in die Höhe, sieht die Decke ihres Wohnzimmers und wünschte sich, da wäre noch ein bisschen Spielraum - oder die Gelegenheit, die Verhältnisse zu dehnen, zu weiten oder auszubauen. Eine Kirche wäre gut, „wo man endlos hochguckt und der Ton tatsächlich Platz hat, wegzugehen und die Fantasie zu wecken.“ Im ersten Lockdown saß die Pianistin Gerlint Böttcher täglich ein bis zwei Stunden am Flügel, „das ist deutlich weniger als vor Corona“, sagt sie, alle Auftritte sind ausgefallen, „doch es ist wichtig, das Spiel nicht schleifen zu lassen.“ Inzwischen übt sie wieder mehr. Was aber nicht wegzudiskutieren ist: „Im Wohnzimmer klingt es immer nach Wohnzimmer.“

Nichts gegen ihr Wohnzimmer, sie lebt seit gut zehn Jahren in Eichwalde (Dahme-Spreewald),„wunderbare Seen in der Nähe, viel kulturelles Leben, nette Nachbarn“. Doch Gerlint Böttcher, eine Pianistin von internationalem Rang, ist „sehr gerne unterwegs“. Stimmungen und Panorama schlagen neue Seiten auf, nicht nur in der Partitur, sondern auch in ihrer Seele.

Silvester und Neujahr sollte sie Konzerte auf dem Darß geben, Ostseeluft, mehr Auslauf kann es für Musik nicht geben. Leider wurden beide Abende gestrichen. Wie nun so viele. Live-Konzerte sind in diesen Wochen schwierig, wie auch schon im vergangenen Winter, was den CD-Verkäufen allerdings nicht schadet. Sie habe sich mit Hänssler beraten, ihrem Label, ob die kleine Scheibe noch ein Medium des 21. Jahrhunderts sei. Die Label-Chefin hatte keinen Grund zur Klage: „Während Corona haben wir besser verkauft als vorher.“ Das freut die Pianistin Böttcher, denn ihr neues Album ist noch frisch, vor einem Vierteljahr kam es heraus.

Sie hat Beethoven (Klavierkonzert Nr. 1 in C-Dur) und Mendelssohn Bartholdy (Klavierkonzert Nr. 2 in c-Moll) eingespielt, beide live in der Kreuzkirche von Königs Wusterhausen, mit dem Südwestdeutschen Kammerorchester Pforzheim. „Live ist mein Element!“, sagt Böttcher, „live fühle ich mich deutlich wohler als im Studio, Nebengeräusche aus dem Publikum machen es letztlich nur lebendiger.“ Generalprobe und Konzert werden mitgeschnitten, wenn es im Konzert mal hakt, lässt sich die Passage aus der Probe nehmen. „Es zählt der Moment, die Energie ist anders als im Studio!“ Gerlint Böttcher schwärmt, auch von der Akustik der Königs Wusterhausener Kreuzkirche.

Neben den Klavierkonzerten, die sie in bearbeiteten und verschlankten Fassungen aufnahm, ohne Bläser, gibt es auf dem Album ein besonderes Bonbon, die Stücke von Günther Franz Kasseckert. Hauptberuflich war er Psychologe, „Kasseckert hat musikalisch aus dem Therapiealltag geschöpft, manchmal hört man in den Noten eine Angst der Kinder, es klingt, als streckten sie die Zunge raus, um ihre Furcht zu überwinden.“ Und gleich spricht Böttcher vom „Nachtkrapp“, dem ersten von fünf kurzen Kasseckert-Stücken auf dem Album. „Der Nachtkrapp ist ein Sagenvogel, mit dem man Kindern drohte, wenn sie zu lange draußen blieben.“ Zwischendurch hört man die frohe Rhythmik eines Abzählreimes. Traurig aber wird Böttcher, wenn sie davon spricht, dass der Mann vor gut vier Jahren starb, er war erst Ende 50.

„Kasseckert war vital“, erinnert sie sich, wenn sie ihn fragte, „was hältst du von meiner Fassung“, hat er zugehört, „er hat mir vorgetanzt, was er beim Komponieren fühlte - er hat nichts analysiert, sondern hüpfte auf der Bühne, wir haben viel gelacht.“ Böttcher hat seine Stücke über die Jahre in ihr Programm gestreut. Hinterher kamen die Leute und wollten die Aufnahmen kaufen. Doch es gab noch keine. Höchste Zeit, dass Gerlint Böttcher sie aufs neue Album hob. Mitunter gehen sie in Richtung Jazz, selbst Boogie- Woogie ist zu hören.

Es kann nicht schaden, sich mit derlei filigraner Leichtigkeit bei Laune zu halten, denn Gerlint Böttcher ist nicht nur Musikerin, sondern auch Geschäftsfrau - als Gründerin und Chefin der „Schlosskonzerte Königs Wusterhausen“. Das war kein Kinderspiel während der vergangenen zwei Jahre: „Im Sommer 2020 haben wir das Festival ruhen lassen, die Lage war zu ungewiss, doch wir haben zwei Sonderkonzerte für die Sponsoren gegeben, denn ihre finanzielle Unterstützung ist überlebenswichtig.“ Im Sommer 2021 fand das Festival unter verschärften Hygienevorgaben statt. Nicht im Schloss, sondern im Großen Saal der FH für Finanzen, mit Klimaanlage und großem Foyer. Argumente, die in Zeiten einer Pandemie stichhaltig sind.

Das Festival steht auf stabilen Beinen, „auch in meiner Familie ist niemand krank geworden, es geht uns gut“, sagt Gerlint Böttcher. Und doch unterstreicht sie, wie sehr ihr dieses künstlerisch so isolierte Leben derzeit zusetzt. Reisen wie jene nach China, die sie 2018 unternahm, sind aktuell nicht anzutreten. Dort war sie eingeladen als Jurorin eines Wettbewerbs, „es gibt im Land eine enorme Euphorie für klassische, europäische Musik, viele Kinder nehmen Unterricht, die Eltern zahlen das, auch wenn die Instrumente dort sehr teuer sind.“

Diese Begeisterung wünscht sich Gerlint Böttcher endlich auch in ihrem Alltag wieder. Nein, es muss nicht in den nächsten Tagen gleich nach China gehen. Aber bitte ein paar Meter raus aus ihrem Wohnzimmer.

 

Herrin der Schlosskonzerte
Gerlint Böttcher wurde in Frankfurt (Oder) geboren und studierte an der Berliner Musikhochschule „Hanns Eisler“. Sie tritt international als Solistin auf und hat mit dem Konzerthausorchester Berlin, den Berliner Symphonikern und dem Brandenburgischen Staatsorchester zusammengespielt.

 

Sie leitet das 2014 von ihr gegründete Festival „Schlosskonzerte Königs Wusterhausen“.

 

Ihre neue, sechste CD mit Klavierkonzerten von Beethoven und Mendelssohn Bartholdy enthält auch Ersteinspielungen des Komponisten Günther Franz Kasseckert (1958-2017). Erschienen ist das Album beim Label Hänssler.