Sommer-Wintertraum mit Aprikosenduft
FW Feuilleton, er
SUHL - In ungewissen Zeiten halten auch Kulturmenschen gerne am Bewährten fest: So gesehen war der Spielzeitauftakt der Thüringen-Philharmonie am Donnerstag auch ein programmatisches Bekenntnis des arg vom Rotstift gezeichneten Orchesters. Nicht mit einem der zuletzt bemerkenswerten Seitensprünge des GMD Alun Francis zur Moderne, sondern mit einem populären Programm aus dem 19. Jahrhundert startete der Klangkörper in die neue Saison.
Ausgedacht hatte sich das der aus Neuseeland eingeflogene Gastdirigent Uwe Grodd. Hatte er die momentane Jahreszeit seiner Heimat im Sinn, als er ausgerechnet mit Tschaikowskys erster Sinfonie nach Suhl kam? Jenes sinfonisches Erstlingswerk des Russen, das als „Winterträume" populär wurde, fühlte sich jedenfalls ebenso pudelwohl im heißen Südthüringen wie Grodd offenkundig selbst.
Leichte Schwermut
Als ob er den Satzbezeichnungen wie „raues Land, Nebelland" und „winterliche Fahrt" die Sommersonne entgegen setzen wollte, entlockte Grodd den für Tschaikowsky typischen dunklen Streichern und elegischen Hörnern einen so durchsichtigen Klang, dass die schwermütige Grundstimmung eher leichtfüßig und trotzdem spannungsreich daherkam. So konnten die Suhler Musiker ihre Stärke bei dynamisch-ausladenden Stücken der Romantik ausspielen, die sie so oft bewiesen haben. Die leisen Ausklänge im zweiten und dritten Satz, die präzisen Bläser, der entfesselte Ausbruch im letzten Satz hielten das Publikum spürbar in Atem. Langer Applaus für Grodd, der im Dirigat mühelos zwischen fast tänzelnder Leichtigkeit und innigster Anspannung wechselte. Der Liebling des Abends war aber bereits vor der Pause gekürt worden. Das raunende „Aah", mit dem zunächst das apricot-farbene Glitzerkleid der Klaviersolistin Gerlint Böttcher goutiert wurde, steigerte sich in begeisterte Anerkennung, spätestens als die junge Brandenburgerin mit einem irre beschleunigten „Gnomenreigen" von Franz Liszt eine atemberaubende Kurzzugabe spielte.
Makellose Solistin
Ebenso makellos virtuos hatte sie Beethovens erstes Klavierkonzert zelebriert, so weich und fließend sich an das Orchester geschmiegt, so duftend verzierte Kadenzen geboten, dass kaum auffiel, wie schlecht eigentlich die Akustik des viel zu großen CCS für die recht kontrastarme Musikfarbe der Wiener Klassik geeignet ist. Ohne Solistin fällt das erst so richtig auf, weswegen die ebenfalls eher flächenhafte Sinfonik von Robert Schumanns 12-Minuten-Ouvertüre zu „Julius Cäsar" zu Beginn im Hallenbrei zerfloss. Belanglos! Dabei halfen dem Besucher auch nicht die hölzernen und viel zu langen Texte im Programmheft, musikalische Tiefe zu entdecken. Entdeckungen sind bei der Philharmonie erst mal weniger angesagt. Bewährtes eben. Chefdirigent Alun Francis gibt sein Saisondebüt am 6. Oktober mit alten Klassik-Hits („Aus der neuen Welt", „Moldau"), bevor ei drei Wochen später immerhin eine Sibelius-Sinfonie wagt.